Donnerstag, 24.April 2025
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Ergotherapie bei Koordinationsstörungen: Effektive Förderung für Kinder und Betroffene

Ergotherapie bei Koordinationsstörungen: Effektive Förderung für Kinder und Betroffene

Geschätzte Lesezeit: 14 Minuten

Key Takeaways

  • Koordinationsstörungen (oft UEMF/Dyspraxie) beeinträchtigen Motorik und Alltag, sind aber nicht durch generelle Intelligenzminderung bedingt.
  • Ergotherapie verbessert gezielt Grob- und Feinmotorik, Handlungsplanung und Wahrnehmungsverarbeitung, um Handlungsfähigkeit und Teilhabe zu steigern.
  • Zentrale Therapieansätze sind der kognitive CO-OP Ansatz, Sensorische Integrationstherapie (SI) und aufgabenorientiertes Training mit spezifischen Materialien.
  • Eine gut funktionierende Wahrnehmung (visuell, taktil, propriozeptiv, vestibulär) ist untrennbar mit koordinierter Motorik verbunden und wird in der Therapie gezielt gefördert.
  • Frühzeitige ärztliche Diagnose und eine Heilmittelverordnung sind entscheidend für den Zugang zur Ergotherapie, welche Selbstständigkeit und Lebensqualität verbessert.

Inhaltsverzeichnis

Kind balanciert auf Baumstamm - Ergotherapie Koordinationsstörung

Manchmal fällt auf: Ein Kind wirkt im Vergleich zu Gleichaltrigen auffallend „ungeschickt“. Es hat Schwierigkeiten beim Balancieren, tut sich schwer beim Basteln mit Schere und Kleber oder kann Bälle nur mühsam fangen und werfen. Auch Erwachsene können von solchen motorischen Unsicherheiten betroffen sein. Doch was steckt wirklich hinter dieser wahrgenommenen Ungeschicklichkeit? Oftmals liegen diesen Herausforderungen spezifische Koordinationsstörungen zugrunde. Glücklicherweise gibt es effektive Unterstützung: Die Ergotherapie bei Koordinationsstörungen bietet gezielte Hilfe und individuelle Förderung.

Koordinationsstörungen bezeichnen Probleme im komplexen Zusammenspiel von sensorischer Wahrnehmung, der zentralen Verarbeitung dieser Informationen im Gehirn und der anschließenden Steuerung der Motorik und Muskulatur. Diese Störungen manifestieren sich häufig durch eine allgemeine Ungeschicklichkeit oder spezifische Schwierigkeiten in der Fein- und Grobmotorik. Die Betroffenen haben Mühe, Bewegungen flüssig, zielgerichtet und effizient auszuführen.

Die Relevanz einer frühzeitigen Förderung durch Ergotherapie kann nicht genug betont werden. Unbehandelte Koordinationsstörungen können weit über die rein motorischen Aspekte hinausgehen. Sie beeinträchtigen häufig das Selbstbewusstsein der Kinder, führen zu Frustration bei alltäglichen Aufgaben und können soziale Schwierigkeiten nach sich ziehen, etwa wenn das Kind sich beim Spielen oder im Schulsport ausgeschlossen fühlt.

Dieser Artikel beleuchtet detailliert, was Koordinationsstörungen genau sind und wie sie sich äußern. Er erklärt die zentrale Rolle der Ergotherapie bei der Behandlung dieser Störungen, geht speziell auf die Förderung im Bereich der Pädiatrie ein und erläutert das entscheidende Zusammenspiel von Wahrnehmung und Motorik. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis für die Herausforderungen und die effektiven therapeutischen Möglichkeiten zu schaffen.

Koordinationsstörungen verstehen: Mehr als nur Ungeschicklichkeit

Der Begriff Koordinationsstörung beschreibt ein breites Spektrum an motorischen Schwierigkeiten. Fachlich wird häufig die Diagnose „Umschriebene Entwicklungsstörung motorischer Funktionen“ (UEMF) verwendet. Diese Störungen sind neurologisch oder entwicklungsbedingt begründet. Wichtig ist die Abgrenzung: Sie sind nicht die Folge einer allgemeinen Intelligenzminderung, einer bekannten neurologischen Erkrankung (wie Zerebralparese) oder spezifischer medizinischer Zustände, die die Motorik direkt beeinflussen. Die Ursachen liegen vielmehr in der Art und Weise, wie das Gehirn Bewegungen plant, steuert und mit sensorischen Informationen abgleicht.

Die Anzeichen und Symptome von Koordinationsstörungen sind vielfältig und betreffen verschiedene Bereiche des täglichen Lebens. Sie können sich bereits im Kleinkindalter zeigen, werden aber oft erst im Kindergarten oder in der Schule deutlich, wenn die Anforderungen an die motorischen Fähigkeiten steigen. Typische Auffälligkeiten umfassen:

  • Grobmotorik:
    • Schwierigkeiten beim Erlernen grundlegender Bewegungsabläufe wie Laufen, Rennen, Hüpfen oder Springen.
    • Probleme mit dem Gleichgewicht, z.B. beim Balancieren auf einem Bein oder auf einer Linie.
    • Unsicherheiten beim Fahrradfahren, oft deutlich später erlernt als bei Gleichaltrigen.
    • Schwierigkeiten beim Fangen, Werfen oder Treten eines Balls, was die Teilnahme an Ballspielen erschwert.
    • Eine allgemein ungelenke oder steife Körperhaltung und Bewegungsausführung.
  • Feinmotorik:
    • Probleme beim Schreiben: Verkrampfte Stifthaltung, unleserliche oder sehr langsame Schrift, Schwierigkeiten beim Einhalten von Linien.
    • Schwierigkeiten beim Malen und Zeichnen, z.B. beim Ausmalen innerhalb von Linien.
    • Ungeschicklichkeit beim Schneiden mit der Schere.
    • Probleme bei alltäglichen Handgriffen wie Knöpfe schließen, Reißverschlüsse bedienen oder eine Schleife binden.
    • Schwierigkeiten beim Umgang mit Besteck während des Essens.
  • Weitere Auffälligkeiten:
    • Ausgeprägte Tollpatschigkeit: Häufiges Stolpern, Anstoßen an Möbeln oder Fallenlassen von Gegenständen.
    • Schwierigkeiten bei der Organisation und Planung von Bewegungssequenzen, z.B. beim An- und Ausziehen (Reihenfolge verwechseln, sich verheddern).
    • Probleme bei der räumlichen Orientierung und der Einschätzung von Abständen.
    • Vermeidung von motorisch anspruchsvollen Aufgaben oder Spielen.

Im Kern geht es bei Koordination um die Fähigkeit, verschiedene Muskelgruppen und Bewegungen so aufeinander abzustimmen, dass eine Bewegung zielgerichtet, harmonisch, flüssig und effizient ausgeführt wird. Dies betrifft die Grobmotorik (große Körperbewegungen), die Feinmotorik (präzise Hand- und Fingerbewegungen) sowie die sogenannte Praxie – die Fähigkeit zur Handlungsplanung. Die Praxie beinhaltet die Idee einer Bewegung, die Planung der notwendigen Schritte und die korrekte Ausführung der Sequenz.

Ein spezifischer Begriff, der in diesem Zusammenhang oft fällt, ist die Dyspraxie. Dyspraxie wird häufig synonym mit UEMF oder Koordinationsstörungen verwendet, legt aber einen besonderen Schwerpunkt auf die Schwierigkeiten bei der Planung (Praxie) und Ausführung neuer oder komplexer Bewegungsabläufe. Kinder mit Dyspraxie wissen vielleicht theoretisch, wie eine Bewegung geht, haben aber Probleme, die einzelnen Schritte zu organisieren und in die Tat umzusetzen.

Entscheidend für das Verständnis von Koordinationsstörungen ist die enge Verknüpfung von Motorik und Wahrnehmung. Jede koordinierte Bewegung basiert auf der Verarbeitung von Sinnesreizen. Das Gehirn muss ständig Informationen aus verschiedenen Sinnessystemen empfangen und integrieren: visuelle Reize (Sehen), taktile Reize (Tastsinn), auditive Reize (Hören) und insbesondere propriozeptive Reize. Die Propriozeption ist die Tiefenwahrnehmung – das Wissen darum, wo sich der eigene Körper und seine Teile im Raum befinden, auch ohne hinzusehen. Wenn die Verarbeitung dieser Sinnesinformationen gestört ist (Sensorische Integrationsstörung), kann dies direkt zu Problemen in der motorischen Planung und Ausführung führen oder bestehende Koordinationsstörungen verstärken.

Die Rolle der Ergotherapie bei Koordinationsstörungen

Die Ergotherapie spielt eine zentrale Rolle bei der Behandlung und Förderung von Menschen mit Koordinationsstörungen. Das übergeordnete Ziel der Ergotherapie ist es stets, die Handlungsfähigkeit und damit die Teilhabe der Betroffenen in ihrem individuellen Alltag zu verbessern oder zu ermöglichen. Bei Koordinationsstörungen bedeutet dies ganz konkret, die zugrunde liegenden Schwierigkeiten in der Motorik und Wahrnehmung so zu adressieren, dass alltägliche Aktivitäten – sei es in der Schule, in der Freizeit oder bei der Selbstversorgung – besser, selbstständiger und mit weniger Frustration bewältigt werden können. Es geht darum, dem Kind oder Erwachsenen zu helfen, seine motorischen Potenziale bestmöglich zu entfalten.

Ergotherapeutin übt mit Kind an Steckspiel - Feinmotorik Förderung

Der ergotherapeutische Prozess beginnt immer mit einer differenzierten Befunderhebung. Die Ergotherapeut:in nutzt hierfür standardisierte motorische Tests, gezielte Beobachtungen des Kindes bei verschiedenen Aktivitäten und Gespräche mit den Betroffenen und/oder ihren Bezugspersonen (Eltern, Lehrer). Ziel ist es, ein genaues Bild von den Stärken und Schwächen zu erhalten, die spezifischen Schwierigkeiten im Alltag zu identifizieren und die zugrunde liegenden Ursachen der Koordinationsstörung (z.B. Probleme in der Wahrnehmungsverarbeitung, der Handlungsplanung oder der motorischen Ausführung) zu verstehen. Auf Basis dieser umfassenden Analyse werden gemeinsam individuelle und alltagsrelevante Therapieziele formuliert.

Die Förderung in der Ergotherapie bei Koordinationsstörungen ist vielschichtig und setzt an den spezifischen Defiziten an. Schwerpunkte der therapeutischen Arbeit sind häufig:

  • Verbesserung der Handlungsplanung (Praxie): Strategien entwickeln, um Bewegungsabläufe gedanklich vorzubereiten und zu strukturieren.
  • Steigerung der Qualität von Bewegungen: Förderung einer flüssigeren, präziseren und besser dosierten Ausführung von grob- und feinmotorischen Aufgaben.
  • Automatisierung von Bewegungsabläufen: Häufig wiederkehrende motorische Handlungen sollen sicherer und weniger anstrengend werden.
  • Verbesserung der Körperwahrnehmung (Propriozeption) und des Gleichgewichtssinns (vestibuläre Wahrnehmung): Eine solide Basis für koordinierte Bewegungen schaffen.
  • Stärkung der visuomotorischen Koordination (Auge-Hand-Koordination): Wichtig für Tätigkeiten wie Schreiben, Basteln oder Ballspiele.

Um diese Ziele zu erreichen, bedient sich die Ergotherapie verschiedener bewährter Methoden und Techniken:

  • CO-OP Ansatz (Cognitive Orientation to daily Occupational Performance): Dieser kognitive, betätigungsorientierte Ansatz ist besonders effektiv bei Koordinationsstörungen. Kinder lernen dabei, unter Anleitung der Therapeut:in eigene Strategien zu entwickeln, um motorische Probleme im Alltag zu lösen. Sie analysieren die Aufgabe (z.B. Schuhe binden), planen die Schritte („Goal-Plan-Do-Check“-Prinzip) und überprüfen das Ergebnis. Dies fördert die Selbstständigkeit und Problemlösefähigkeit.
  • Sensorische Integrationstherapie (SI): Da Wahrnehmungsprobleme oft mit Koordinationsstörungen einhergehen, kommt häufig die SI zum Einsatz. Sie zielt darauf ab, die Verarbeitung von Sinnesreizen im Gehirn durch gezielte sensorische Angebote zu verbessern und zu organisieren. Dies schafft eine bessere Grundlage für motorisches Lernen und Handeln (siehe Abschnitt 5).
  • Aufgabenorientiertes Training: Hierbei werden genau die Alltagsaktivitäten geübt, die dem Kind oder Erwachsenen Schwierigkeiten bereiten. Die Aufgaben werden oft in kleinere Teilschritte zerlegt und schrittweise trainiert, um Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.
  • Einsatz spezifischer Therapiematerialien: Die Ergotherapie nutzt eine Vielzahl von Materialien, um Motorik und Wahrnehmung gezielt zu fördern. Dazu gehören:
    • Großgeräte wie Schaukeln, Hängematten, Rollbretter, Kletterwände oder Trampoline zur Förderung von Gleichgewicht, Körperspannung und Grobmotorik.
    • Bälle unterschiedlicher Größe und Beschaffenheit für Fang-, Wurf- und Koordinationsübungen.
    • Materialien zur Feinmotorikförderung: Knete, Therapiekitt, Perlen, Pinzetten, Konstruktionsmaterial, spezielle Stifte und Schreibhilfen.
    • Taktile Materialien: Igelbälle, Fühlkästen, Sandwannen, verschiedene Stoffe und Bürsten zur Stimulierung des Tastsinns.

Der Erfolg der Ergotherapie bei Koordinationsstörungen hängt maßgeblich von individuell angepassten Therapieplänen ab, die genau auf die Bedürfnisse und Ziele des Einzelnen zugeschnitten sind. Ebenso wichtig ist die Regelmäßigkeit der Therapieeinheiten und das aktive Üben – idealerweise auch durch kleine Übungssequenzen im häuslichen Umfeld, die von der Therapeut:in angeleitet werden.

Ergotherapie in der Pädiatrie: Spezifische Förderung für Kinder

Im Bereich der Pädiatrie, also der Kinderheilkunde, kommt der Ergotherapie eine besonders wichtige Bedeutung bei der Behandlung von Koordinationsstörungen (UEMF) und Dyspraxie zu. Motorische Fähigkeiten sind im Kindesalter die Grundlage für unzählige Entwicklungsschritte. Sie beeinflussen nicht nur körperliche Aktivitäten, sondern auch kognitive Lernprozesse, wie das Schreibenlernen, und soziale Interaktionen, beispielsweise beim gemeinsamen Spielen auf dem Schulhof oder im Kindergarten. Wenn ein Kind aufgrund motorischer Unsicherheiten Schwierigkeiten hat, mitzuhalten, kann dies seine gesamte Entwicklung beeinträchtigen. Eine frühzeitige ergotherapeutische Förderung kann hier entscheidend dazu beitragen, die Entwicklungschancen des Kindes zu verbessern und sekundären Problemen wie geringem Selbstwertgefühl oder sozialem Rückzug vorzubeugen.

Der Ansatz der Ergotherapie in der Pädiatrie ist grundlegend spielerisch. Therapeuten wissen, dass Kinder am besten lernen, wenn sie motiviert sind und Spaß an der Sache haben. Daher werden Therapieziele oft in fantasievolle Spiele und Aktivitäten verpackt. Der Therapieraum ist meist ansprechend gestaltet und mit vielfältigen Materialien ausgestattet, die zum Bewegen, Ausprobieren und Entdecken einladen. Die Förderung erfolgt kindgerecht und orientiert sich an den Interessen und Ressourcen des jeweiligen Kindes.

Typische Übungen und Methoden in der Kinder-Ergotherapie zur Behandlung von Koordinationsstörungen umfassen ein breites Spektrum, das auf die Verbesserung verschiedener Fähigkeitsbereiche abzielt:

  • Förderung der Grobmotorik: Hier geht es darum, grundlegende Bewegungsabläufe sicherer und koordinierter zu machen.
    • Balancierparcours auf Bänken, Seilen oder Wackelbrettern zur Verbesserung des Gleichgewichts.
    • Therapeutisches Schaukeln in verschiedenen Variationen (z.B. in Hängematten, auf Plattformschaukeln) zur Stimulation des Gleichgewichtssinns und Verbesserung der Haltungskontrolle.
    • Springen auf dem Trampolin oder über Hindernisse zur Förderung von Sprungkraft, Koordination und Körperspannung.
    • Gezielte Ballspiele (Fangen, Werfen, Prellen, Rollen) zur Verbesserung der Auge-Hand- und Auge-Fuß-Koordination sowie der Reaktionsfähigkeit.
    • Klettern an Kletterwänden oder Sprossenwänden zur Stärkung der Muskulatur, Verbesserung der Kraftdosierung und Förderung der Bewegungsplanung.
  • Förderung der Feinmotorik: Präzise Hand- und Fingerfertigkeiten sind für viele schulische und alltägliche Aufgaben unerlässlich.
    • Bastelarbeiten wie Schneiden mit der Schere entlang von Linien, Kleben, Falten.
    • Malen und Zeichnen mit verschiedenen Stiften und Materialien, Übungen zur Stifthaltung und Linienführung.
    • Auffädeln von Perlen in verschiedenen Größen und Formen zur Schulung der Auge-Hand-Koordination und Fingergeschicklichkeit.
    • Arbeiten mit Pinzetten oder Zangen, um kleine Gegenstände zu greifen und zu sortieren.
    • Spezielle Übungen zur Verbesserung der Stifthaltung und des Schreibdrucks, z.B. mit Therapiekitt oder speziellen Schreibhilfen.
    • Therapeutische Tischspiele, die feinmotorische Anforderungen stellen (z.B. Steckspiele, Puzzles).
  • Training der Körperwahrnehmung und des Gleichgewichts: Eine gute Wahrnehmung des eigenen Körpers ist die Basis für sichere Motorik.
    • Übungen auf instabilen Unterlagen (Wackelkissen, Therapiekreisel), um die Gleichgewichtsreaktionen und die Tiefenwahrnehmung (Propriozeption) zu schulen.
    • Spiele, bei denen Bewegungen mit geschlossenen Augen ausgeführt oder Gegenstände nur durch Tasten erkannt werden müssen (Förderung der taktilen und propriozeptiven Wahrnehmung).
    • Massagen mit verschiedenen Materialien (Bürsten, Igelbällen, Tüchern), um die Oberflächensensibilität zu fördern und das Körperbewusstsein zu steigern.
  • Üben von Alltagsaktivitäten: Das direkte Training relevanter Alltagsfertigkeiten steht oft im Fokus.
    • An- und Ausziehen: Üben von Knöpfen, Reißverschlüssen, Schnürsenkeln binden – oft wird die Tätigkeit in kleine, überschaubare Schritte zerlegt.
    • Essen mit Besteck: Gezieltes Training des Umgangs mit Messer, Gabel und Löffel.
    • Schleife binden: Schrittweises Erlernen dieser komplexen feinmotorischen Aufgabe.
    • Ranzen packen: Üben der Organisation und des planvollen Handelns.
  • Spezifische Ansätze bei Dyspraxie: Wenn die Bewegungsplanung im Vordergrund der Schwierigkeiten steht, kommen oft Methoden wie der CO-OP Ansatz zum Einsatz. Hierbei liegt der Fokus auf dem Erlernen von Handlungsplanungsstrategien, der Visualisierung von Bewegungsabläufen vor der Ausführung und der Nutzung verbaler Selbstinstruktion (sich selbst die Schritte vorsagen).

Ein entscheidender Faktor für den Therapieerfolg in der Pädiatrie ist die enge Zusammenarbeit mit dem sozialen Umfeld des Kindes. Ergotherapeut:innen beziehen Eltern, Erzieher:innen und Lehrer:innen aktiv in den Therapieprozess mit ein. Sie beraten das Umfeld, wie das Kind auch im Alltag – zu Hause, im Kindergarten oder in der Schule – bestmöglich unterstützt und gefördert werden kann. Dies kann durch gezielte Übungsempfehlungen für zu Hause, Anpassungen im Klassenzimmer (z.B. spezielle Stifte, rutschfeste Unterlagen) oder einfach durch ein besseres Verständnis für die Schwierigkeiten des Kindes geschehen. Dieser Transfer des Gelernten in den Alltag ist essenziell für nachhaltige Fortschritte.

Wahrnehmung und Motorik: Ein untrennbares Duo bei Koordinationsstörungen

Das enge Zusammenspiel von sensorischer Wahrnehmung und motorischer Ausführung ist fundamental für das Verständnis und die Behandlung von Koordinationsstörungen. Jede noch so kleine, zielgerichtete Bewegung basiert auf einem kontinuierlichen Fluss von Informationen, die unsere Sinne aufnehmen und an das Gehirn weiterleiten. Das Gehirn muss diese Informationen blitzschnell verarbeiten, interpretieren und in entsprechende motorische Befehle umwandeln. Koordinierte Motorik ist ohne eine gut funktionierende Wahrnehmungsverarbeitung schlichtweg nicht möglich.

Stellen wir uns ein alltägliches Beispiel vor: das Fangen eines Balls. Um diese scheinbar einfache Handlung erfolgreich auszuführen (Motorik), muss das Gehirn eine Fülle von Sinnesinformationen integrieren (Wahrnehmung). Visuelle Informationen geben Auskunft über die Position des Balls, seine Flugbahn und Geschwindigkeit. Propriozeptive Informationen aus Muskeln, Sehnen und Gelenken teilen dem Gehirn mit, wo sich die eigenen Arme und Hände im Raum befinden und wie sie bewegt werden. Taktile Informationen signalisieren den Kontakt mit dem Ball. Das vestibuläre System (Gleichgewichtssinn) hilft, die Körperhaltung während der Bewegung stabil zu halten. Nur wenn all diese Informationen korrekt aufgenommen, gefiltert und miteinander verknüpft werden, kann die Bewegung – das Ausstrecken der Arme und das Schließen der Hände im richtigen Moment – koordiniert und erfolgreich erfolgen.

Bei vielen Kindern und Erwachsenen mit Koordinationsstörungen liegt nicht nur ein Problem in der motorischen Steuerung selbst vor, sondern auch oder sogar primär eine Störung in der Verarbeitung dieser grundlegenden Sinnesinformationen. Man spricht hier von einer Störung der sensorischen Integration (SI-Störung). Das Gehirn hat Schwierigkeiten, die eingehenden Reize sinnvoll zu organisieren, zu gewichten und zu verknüpfen. Dies kann sich in einer Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber bestimmten Reizen (z.B. Geräuschen, Berührungen, Bewegungen) äußern, aber eben auch maßgeblich die motorische Planung und Ausführung beeinträchtigen. Daher adressiert die Ergotherapie bei Koordinationsstörungen häufig gezielt diese sensorischen Wahrnehmungsprozesse, da sie oft die Ursache oder ein maßgeblich verstärkender Faktor der motorischen Probleme sind.

Ein spezifischer und weit verbreiteter Ansatz innerhalb der Ergotherapie zur Behandlung von Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen ist die Sensorische Integrationstherapie (SI), ursprünglich entwickelt von Dr. A. Jean Ayres. Das Ziel der SI ist es, dem Gehirn zu helfen, Sinnesreize besser zu organisieren, zu modulieren und zu verarbeiten. Dies geschieht nicht durch passives Berieseln, sondern durch aktive, vom Kind meist selbst gewählte und gesteuerte sensorische Erfahrungen in einem speziell gestalteten, spielerischen und sicheren therapeutischen Umfeld. Die Therapeut:in bietet dem Kind gezielte sensorische Reize an (z.B. Schaukeln, Klettern, Arbeiten mit verschiedenen Materialien), die genau auf seine Bedürfnisse abgestimmt sind, um eine „adaptive Reaktion“ hervorzurufen – also eine erfolgreiche, zielgerichtete Handlung als Antwort auf die sensorische Herausforderung.

Die Ergotherapie nutzt vielfältige Aktivitäten und Materialien, um die verschiedenen Sinnessysteme gezielt anzusprechen und die Wahrnehmungsverarbeitung zu fördern:

  • Taktile Wahrnehmung (Tastsinn):
    • Fühlkästen oder Fühlsäckchen mit unterschiedlichen Materialien (weich, rau, hart, kalt).
    • Barfußpfade mit verschiedenen Untergründen (Sand, Kiesel, Teppich, Gras).
    • Malen mit Fingerfarben, Rasierschaum oder Kleister.
    • Kneten, Formen und Matschen mit Ton, Therapiekitt oder Teig.
    • Massagen mit Bällen, Bürsten oder Tüchern.
  • Propriozeptive Wahrnehmung (Tiefensensibilität/Körperwahrnehmung):
    • Tragen, Schieben oder Ziehen von schweren Gegenständen (z.B. Kissen, Kisten, Therapiematten).
    • Hüpfen auf dem Trampolin, Springen vom Kasten, Seilspringen.
    • Klettern an der Kletterwand oder auf Gerüsten.
    • Übungen mit Widerstand (z.B. mit Therabändern).
    • „Sandwich“-Spiele (zwischen Matten liegen) oder Druckmassagen zur intensiven Körpererfahrung.
  • Vestibuläre Wahrnehmung (Gleichgewichtssinn):
    • Schaukeln in verschiedenen Richtungen und Geschwindigkeiten (vor/zurück, seitlich, drehend) in Hängematten, auf Plattform- oder Tellerschaukeln.
    • Fahren mit dem Rollbrett im Sitzen, Liegen oder Knien, evtl. über Rampen.
    • Balancieren auf Balken, Seilen, Wackelbrettern oder Therapiekreiseln.
    • Drehspiele (kontrolliert und dosiert).

Das übergeordnete Ziel dieser wahrnehmungsfördernden Aktivitäten ist es, die neuronalen Verarbeitungsprozesse im Gehirn zu optimieren. Durch eine verbesserte Fähigkeit, sensorische Informationen aufzunehmen, zu filtern, zu organisieren und zu interpretieren, wird die Grundlage für flüssigere, sicherere und besser angepasste motorische Reaktionen geschaffen. Eine gut integrierte Wahrnehmung ist somit der Schlüssel zu einer verbesserten Motorik und kann Koordinationsstörungen maßgeblich positiv beeinflussen.

Der Weg zur Ergotherapie: Was Eltern und Betroffene tun können

Der erste Schritt zur Unterstützung bei vermuteten Koordinationsstörungen ist das Erkennen und Ernstnehmen der Anzeichen. Wenn Eltern, Erzieher:innen oder Lehrkräfte beobachten, dass ein Kind über einen längeren Zeitraum hinweg deutliche und anhaltende Schwierigkeiten in seiner motorischen Entwicklung zeigt – beispielsweise im Vergleich zu Gleichaltrigen auffallend ungeschickt ist, Probleme beim Erlernen altersgemäßer motorischer Fähigkeiten wie Fahrradfahren oder Schreiben hat, oder bei alltäglichen Verrichtungen wie Anziehen oder Essen stark beeinträchtigt ist – sollte dies Anlass sein, professionellen Rat einzuholen. Wichtig ist, nicht zu lange zu warten, da eine frühzeitige Förderung oft die besten Ergebnisse erzielt.

Der erste Ansprechpartner ist in der Regel der Kinderarzt oder die Kinderärztin, wenn es um Kinder geht. Bei Erwachsenen mit neu aufgetretenen oder bisher nicht diagnostizierten Koordinationsproblemen kann der Hausarzt oder ein Neurologe die erste Anlaufstelle sein. Der Arzt wird eine Anamnese erheben, das Kind oder den Erwachsenen untersuchen und eine erste Einschätzung vornehmen. Er kann prüfen, ob möglicherweise andere medizinische Ursachen für die motorischen Schwierigkeiten verantwortlich sind und gegebenenfalls eine weiterführende Diagnostik veranlassen, z.B. durch spezielle motorische Entwicklungstests oder neurologische Untersuchungen.

Bestätigt sich der Verdacht auf eine Umschriebene Entwicklungsstörung motorischer Funktionen (UEMF), Dyspraxie oder eine andere Form von behandlungsbedürftigen Koordinationsstörungen, kann der Arzt eine Heilmittelverordnung für Ergotherapie ausstellen. Diese ärztliche Verordnung ist in Deutschland die Voraussetzung dafür, dass die Kosten für die ergotherapeutische Behandlung von den gesetzlichen oder privaten Krankenkassen (meist anteilig oder vollständig, je nach Vertrag und Zuzahlungsregelungen) übernommen werden. Auf der Verordnung werden in der Regel die Diagnose, das Leitsymptom (z.B. Störungen der Grob- oder Feinmotorik, Wahrnehmungsstörungen) und die verordnete Anzahl der Therapieeinheiten angegeben.

Mit dieser Verordnung können sich Eltern oder Betroffene dann auf die Suche nach einer geeigneten Ergotherapiepraxis machen. Bei der Auswahl ist es ratsam, auf Praxen zu achten, die Erfahrung und idealerweise eine Spezialisierung im Bereich der Pädiatrie (bei Kindern) und/oder der Behandlung von neurologisch bedingten Koordinationsstörungen und Dyspraxie haben. Es kann sinnvoll sein, telefonisch oder bei einem ersten Gespräch nachzufragen, welche spezifischen therapeutischen Ansätze und Methoden in der Praxis angewendet werden (z.B. CO-OP Ansatz, Sensorische Integrationstherapie) und ob diese zum individuellen Bedarf passen. Ein guter Draht und Vertrauen zur Therapeut:in sind ebenfalls wichtige Faktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

Die Ergotherapie findet üblicherweise regelmäßig statt, meist ein- bis zweimal pro Woche, je nach Verordnung und individuellem Bedarf. Eine Therapieeinheit dauert in der Regel 45 bis 60 Minuten. Der Erfolg der Therapie hängt nicht nur von der Arbeit in der Praxis ab, sondern auch von der aktiven Mitarbeit des Kindes oder des betroffenen Erwachsenen und der Unterstützung durch das Umfeld. Ergotherapeut:innen geben oft kleine Übungen oder Handlungsempfehlungen für den Alltag mit nach Hause, um den Transfer des Gelernten zu fördern und die Fortschritte zu festigen. Eine offene Kommunikation zwischen Therapeut:in, Patient:in und (bei Kindern) den Eltern ist dabei essenziell.

Fazit: Ergotherapie als Schlüssel zur verbesserten Koordination und Teilhabe

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Ergotherapie ist ein zentraler und äußerst effektiver Therapieansatz für Kinder und Erwachsene, die von Koordinationsstörungen, einschließlich der Umschriebenen Entwicklungsstörung motorischer Funktionen (UEMF) und Dyspraxie, betroffen sind. Sie bietet weit mehr als nur motorisches Üben; sie ist ein ganzheitlicher Ansatz, der auf die individuellen Bedürfnisse und Alltagsherausforderungen der Betroffenen eingeht.

Der Nutzen der Ergotherapie bei Koordinationsstörungen ist vielfältig und nachhaltig. Durch die gezielte, individuell angepasste Förderung der Fein- und Grobmotorik sowie der zugrunde liegenden sensorischen Wahrnehmungsverarbeitung verbessert die Ergotherapie nicht nur die reinen Bewegungsfähigkeiten. Sie leistet einen entscheidenden Beitrag zur Steigerung der Selbstständigkeit bei alltäglichen Verrichtungen – vom Anziehen über das Essen bis hin zum Schreiben. Dies wiederum stärkt das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl der Betroffenen erheblich. Wenn Kinder merken, dass sie motorische Aufgaben besser bewältigen können, trauen sie sich mehr zu und nehmen aktiver am sozialen Leben teil, sei es beim Spielen mit Freunden oder im Schulsport. Die Ergotherapie fördert somit maßgeblich die soziale Teilhabe und verbessert die Lebensqualität.

Daher lautet der abschließende Appell an Eltern, Bezugspersonen und auch betroffene Erwachsene: Zögern Sie nicht, bei einem begründeten Verdacht auf Koordinationsstörungen ärztlichen Rat einzuholen. Eine genaue Diagnose ist der erste Schritt zu gezielter Hilfe. Nutzen Sie die vielfältigen Möglichkeiten, die die Ergotherapie bietet. Eine frühzeitig begonnene und konsequent durchgeführte ergotherapeutische Förderung kann einen signifikanten Unterschied machen und den Weg zu mehr motorischer Sicherheit, Selbstständigkeit und Lebensfreude ebnen.

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