Donnerstag, 24.April 2025
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Vielfalt in der Behandlung: Wichtige Therapiekonzepte der Ergotherapie im Überblick

Vielfalt in der Behandlung: Wichtige Therapiekonzepte der Ergotherapie im Überblick

Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Key Takeaways

  • Die Ergotherapie nutzt eine Vielfalt an spezialisierten Therapiekonzepten, um auf individuelle Bedürfnisse von Patient:innen einzugehen.
  • Zentrale Konzepte umfassen das Bobath-Konzept (neurophysiologische Rehabilitation), das Affolter-Modell (Wahrnehmungsförderung durch Spüren), die SI-Therapie (Verarbeitung von Sinnesreizen) und das Marburger Konzentrationstraining (Aufmerksamkeitsförderung).
  • Die Auswahl des passenden Konzepts oder einer Kombination daraus basiert auf Diagnose, Alter, Zielen und spezifischer Symptomatik des Patienten.
  • Ziel aller Konzepte ist die Verbesserung der Handlungsfähigkeit, Selbstständigkeit und Lebensqualität im Alltag.
  • Erfahrene Ergotherapeut:innen verfolgen oft einen integrativen Ansatz und kombinieren Elemente verschiedener Konzepte.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Der Stellenwert der Ergotherapie und ihrer Konzepte

Die Ergotherapie ist ein unverzichtbarer Bestandteil des modernen Gesundheitswesens. Sie unterstützt Menschen jeden Alters dabei, ihre Handlungsfähigkeit im Alltag (wieder-) zu erlangen, zu verbessern oder zu erhalten. Ob nach einem Unfall, bei einer chronischen Erkrankung, einer Entwicklungsstörung oder psychischen Beeinträchtigung – Ergotherapeut:innen helfen Patient:innen, für sie bedeutungsvolle Aktivitäten in den Bereichen Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit durchführen zu können. Dies reicht von der Unterstützung bei der Alltagsbewältigung über die Rehabilitation nach Verletzungen bis hin zur gezielten Förderung spezifischer Fähigkeiten.

Der Schlüssel zu einer erfolgreichen ergotherapeutischen Behandlung liegt in der Anwendung passgenauer Therapiekonzepte Ergotherapie. Diese Vielfalt an methodischen Herangehensweisen ermöglicht es Therapeut:innen, individuell auf die komplexen Bedürfnisse ihrer Patient:innen einzugehen. Therapiekonzepte sind dabei mehr als nur Techniken; sie stellen strukturierte, theoretisch fundierte Herangehensweisen und Methoden dar, die auf spezifischen Annahmen über die menschliche Funktionsweise, die Entstehung von Störungen und die Mechanismen der Veränderung basieren. Die Notwendigkeit unterschiedlicher Ansätze ergibt sich aus der Einzigartigkeit jedes Patienten, der Bandbreite an Störungsbildern und den individuell festgelegten Therapiezielen.

Dieser Artikel gibt Ihnen einen Überblick über ausgewählte, in der Praxis besonders relevante Therapiekonzepte der Ergotherapie. Wir stellen Ihnen das Bobath-Konzept, das Affolter-Modell, die SI-Therapie (Sensorische Integrationstherapie) und das Marburger Konzentrationstraining (MKT) vor. Ziel ist es, ein grundlegendes Verständnis für die unterschiedlichen Schwerpunkte und Anwendungsbereiche dieser wichtigen Behandlungsansätze zu schaffen.

Grundlagen: Warum gibt es unterschiedliche Therapiekonzepte in der Ergotherapie?

Die Ergotherapie zeichnet sich durch ihre klientenzentrierte und ganzheitliche Sichtweise aus. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, bedarf es einer Palette unterschiedlicher Therapiekonzepte, die flexibel eingesetzt und kombiniert werden können. Mehrere Faktoren machen diese Vielfalt notwendig und sinnvoll:

      • Individualität der Patient:innen: Jeder Mensch ist einzigartig. Alter, persönliche Vorgeschichte, soziale und kulturelle Hintergründe, aktuelle Lebensumstände, individuelle Ressourcen und vor allem die persönlichen Ziele und Wünsche beeinflussen den therapeutischen Prozess maßgeblich. Ein starres, universelles Behandlungsschema würde dieser Einzigartigkeit nicht gerecht. Verschiedene Therapiekonzepte bieten unterschiedliche Schwerpunkte und Methoden, die es ermöglichen, die Behandlung maßgeschneidert an die spezifischen Bedürfnisse und Prioritäten des einzelnen Patienten anzupassen.
      • Vielfalt der Störungsbilder: Das Spektrum der Diagnosen und Störungsbilder, mit denen Menschen zur Ergotherapie kommen, ist enorm breit. Es umfasst neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Multiple Sklerose oder Morbus Parkinson, pädiatrische Herausforderungen wie Entwicklungsverzögerungen, Autismus-Spektrum-Störungen oder ADHS, orthopädische Probleme nach Unfällen oder Operationen, rheumatische Erkrankungen sowie psychische Störungen wie Depressionen, Angststörungen oder Demenzerkrankungen. Jedes dieser Störungsbilder hat spezifische Ursachen, Symptome und Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit. Entsprechend erfordern sie unterschiedliche therapeutische Herangehensweisen. Ein neurologischer Patient profitiert möglicherweise stärker von einem neurophysiologischen Ansatz wie Bobath, während ein Kind mit Wahrnehmungsverarbeitungsstörung eher von der SI-Therapie profitieren könnte.
      • Unterschiedliche Ziele der Fähigkeitsförderung: Die Ziele einer ergotherapeutischen Behandlung sind so vielfältig wie die Patient:innen selbst. Manchmal steht die Verbesserung der Grob- oder Feinmotorik im Vordergrund, beispielsweise um wieder schreiben oder einen Knopf schließen zu können. In anderen Fällen liegt der Fokus auf der Verbesserung der Wahrnehmungsverarbeitung, um die Umwelt besser zu verstehen und darauf reagieren zu können. Auch kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Problemlösung und Handlungsplanung sind häufige Therapieziele, ebenso wie die Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen oder die Anpassung des Verhaltens. Die verschiedenen Therapiekonzepte der Ergotherapie setzen an unterschiedlichen Punkten an und bieten spezifische Strategien zur Förderung der jeweils relevanten Fähigkeiten. Die Auswahl des passenden Konzepts orientiert sich daher maßgeblich an den gemeinsam mit dem Patienten definierten Therapiezielen.

Die Existenz verschiedener Therapiekonzepte ist somit kein Zeichen von Beliebigkeit, sondern ein Ausdruck der Professionalität und Anpassungsfähigkeit der Ergotherapie an die komplexen und individuellen Herausforderungen ihrer Patient:innen.

Das Bobath-Konzept: Neurophysiologische Rehabilitation in der Ergotherapie

Das Bobath-Konzept ist einer der bekanntesten und am weitesten verbreiteten neurophysiologischen Behandlungsansätze in der Ergotherapie und Physiotherapie. Es wurde in den 1940er Jahren von der Physiotherapeutin Berta Bobath und ihrem Ehemann, dem Neurologen Dr. Karel Bobath, entwickelt. Ursprünglich für Kinder mit Zerebralparese konzipiert, wurde es später auf die Rehabilitation von Erwachsenen mit neurologischen Erkrankungen, insbesondere nach einem Schlaganfall, aber auch bei Multipler Sklerose, Schädel-Hirn-Trauma oder Morbus Parkinson, ausgeweitet.

Das zentrale Anliegen des Bobath-Konzepts ist die Analyse und Fazilitation (Erleichterung, Anbahnung) von normalen, physiologischen Bewegungsabläufen und Haltungsmustern. Es basiert auf der Annahme, dass das zentrale Nervensystem (ZNS) lernfähig und plastisch ist, also die Fähigkeit besitzt, sich nach einer Schädigung neu zu organisieren. Ziel ist es, dem Patienten zu helfen, über senso-motorisches Lernen eine bessere Kontrolle über seinen Muskeltonus, seine Haltung und seine Bewegungen zu erlangen und dadurch seine funktionelle Unabhängigkeit im Alltag zu maximieren.

Kernprinzipien des Bobath-Konzepts:

Die therapeutische Arbeit nach Bobath stützt sich auf mehrere Grundprinzipien:

      • Fazilitation physiologischer Bewegungsmuster: Die Therapeutin oder der Therapeut nutzt spezifische Handgriffe und Techniken (Handling), um dem Patienten normale Bewegungssequenzen zu ermöglichen und ihn dabei aktiv zu unterstützen. Es geht nicht darum, Bewegungen passiv durchzuführen, sondern dem Patienten zu helfen, sie selbst so ökonomisch und effektiv wie möglich auszuführen.
      • Hemmung pathologischer (abnormaler) Bewegungs- und Haltungsmuster: Gleichzeitig werden abnormale Bewegungsmuster und pathologische Reflexaktivitäten, die durch die Hirnschädigung entstanden sind (z.B. Spastik, assoziierte Reaktionen), gehemmt oder reduziert. Dies geschieht oft durch gezielte Positionierung und Bewegungsführung.
      • Regulation des Muskeltonus: Ein zentrales Problem bei vielen neurologischen Erkrankungen ist ein veränderter Muskeltonus (zu hoch/spastisch oder zu niedrig/schlaff). Das Bobath-Konzept zielt darauf ab, den Muskeltonus zu normalisieren oder zumindest so zu beeinflussen, dass funktionelle Bewegungen möglich werden. Dies geschieht durch spezifische Lagerungen, Mobilisationen und die Fazilitation von Aktivität.
      • „24-Stunden-Management“: Das Bobath-Konzept versteht sich nicht als isolierte Therapiestunde, sondern als ein Ansatz, der in den gesamten Tagesablauf des Patienten integriert werden sollte. Das bedeutet, dass Prinzipien wie die korrekte Lagerung im Bett oder im Rollstuhl, die Gestaltung von Transfers (z.B. vom Bett in den Stuhl) und die Durchführung von Alltagsaktivitäten unter therapeutischen Gesichtspunkten erfolgen. Die Einbeziehung und Anleitung von Angehörigen und Pflegepersonal ist hierbei essenziell, um eine konsistente Förderung über den Tag hinweg zu gewährleisten.

Anwendung in der Ergotherapie:

In der Ergotherapie wird das Bobath-Konzept genutzt, um Patienten mit neurologischen Störungen bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Herausforderungen zu unterstützen. Der Fokus liegt auf der Verbesserung der Performanz in bedeutungsvollen Aktivitäten des täglichen Lebens (ADLs – Activities of Daily Living). Beispiele hierfür sind:

      • An- und Auskleiden
      • Körperpflege (Waschen, Zähneputzen)
      • Essen und Trinken
      • Toilettengang
      • Haushaltsführung
      • Sicheres Bewegen und Transfers (z.B. Aufstehen vom Stuhl, Umsetzen in den Rollstuhl)

Die Ergotherapeutin analysiert die Bewegungsprobleme des Patienten während dieser konkreten Aktivitäten und nutzt dann die Prinzipien des Bobath-Konzepts (Handling, Fazilitation, Tonusregulation), um die Ausführung zu verbessern und die Selbstständigkeit zu fördern. Es geht darum, dem Patienten zu ermöglichen, trotz seiner Einschränkungen wieder aktiv am Leben teilzunehmen. Das Bobath-Konzept ist somit ein wichtiges Werkzeug innerhalb der Therapiekonzepte der Ergotherapie zur Behandlung neurologischer Patienten.

Quellen:

Das Affolter-Modell: Wahrnehmung und Interaktion in der Ergotherapie

Das Affolter-Modell, benannt nach seiner Entwicklerin, der Schweizer Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Felicie Affolter, ist ein wahrnehmungsorientiertes Therapiekonzept, das sich grundlegend von rein motorischen oder kognitiven Ansätzen unterscheidet. Es wurde primär für Menschen mit Wahrnehmungsstörungen entwickelt, die häufig infolge von Hirnschädigungen (z.B. nach Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma) oder bei angeborenen Entwicklungsstörungen auftreten. Der zentrale Fokus des Modells liegt auf der Bedeutung der taktilen und kinästhetischen (propriozeptiven) Wahrnehmung – also dem Spüren – für das Verständnis der Welt und die Organisation von Handlungen.

Das Affolter-Modell geht davon aus, dass viele Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Alltagsaufgaben (z.B. Apraxie, Neglect, Orientierungsstörungen) auf einer gestörten Verarbeitung von grundlegenden Umweltinformationen beruhen. Wenn ein Patient nicht adäquat spüren kann, wo er sich im Raum befindet, wie sein Körper positioniert ist und welche Eigenschaften die Objekte haben, mit denen er interagiert, fällt es ihm schwer, sinnvolle und geordnete Handlungen zu planen und auszuführen.

Kernprinzipien des Affolter-Modells:

Die therapeutische Arbeit nach Affolter basiert auf spezifischen Prinzipien, die darauf abzielen, dem Patienten grundlegende Spürinformationen zu vermitteln:

      • „Geführte Interaktionstherapie“: Dies ist das Herzstück des Modells. Die Therapeutin führt die Hände oder den Körper des Patienten während alltäglicher, sinnvoller Handlungen (z.B. Brot streichen, Tasse zum Mund führen, Jacke anziehen). Dieses Führen ist nicht passiv, sondern zielt darauf ab, dem Patienten gezielte taktil-kinästhetische Informationen über die Interaktion zwischen seinem Körper und der Umwelt zu vermitteln. Der Patient soll spüren: „Wo bin ich?“, „Was geschieht?“, „Wie fühlt sich die Oberfläche an?“, „Welchen Widerstand bietet das Objekt?“.
      • Ermöglichen von gespürten Informationen zur Problemlösung: Durch das wiederholte Spüren von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen in einfachen Alltagssituationen soll der Patient lernen, Informationen aus der Interaktion mit der Umwelt besser wahrzunehmen und zur Lösung von Alltagsproblemen zu nutzen. Das Ziel ist nicht das verbale Erklären, sondern das erfahrungsbasierte Lernen durch Spüren.
      • Förderung der Eigenwahrnehmung und des Körperschemas: Das geführte Spüren hilft dem Patienten, ein besseres Gefühl für den eigenen Körper, seine Grenzen und seine Position im Raum zu entwickeln. Dies ist fundamental für jede geplante Bewegung und Handlung.
      • Hohe Alltagsrelevanz der therapeutischen Aufgaben: Die geführten Interaktionen finden immer im Kontext von konkreten, für den Patienten bedeutsamen Alltagsaktivitäten statt (z.B. Kochen, Ankleiden, Tisch decken). Dies erhöht die Motivation und erleichtert den Transfer des Gelernten in den Alltag.
      • Einbezug von Bezugspersonen: Ähnlich wie beim Bobath-Konzept ist die Anleitung und Einbindung von Angehörigen oder Pflegepersonal wichtig, um die Prinzipien des Führens auch außerhalb der Therapiesituation anwenden zu können und dem Patienten konsistente Spürinformationen anzubieten.

Anwendung in der Ergotherapie:

Das Affolter-Modell wird in der Ergotherapie bei Patient:innen eingesetzt, deren Schwierigkeiten primär auf Wahrnehmungsstörungen zurückzuführen sind. Dies betrifft häufig Menschen mit:

      • (Komplexen) Wahrnehmungsstörungen nach Hirnschädigung
      • Apraxie (Störung der Handlungsplanung und -ausführung)
      • Neglect (Nichtbeachtung einer Körper- oder Raumhälfte)
      • Orientierungsstörungen
      • Schweren Entwicklungsverzögerungen oder -störungen bei Kindern

Ziel der Ergotherapie nach Affolter ist es, durch die Verbesserung der grundlegenden Wahrnehmungsfähigkeiten die Voraussetzung für eine bessere Organisation von Handlungen und eine höhere Selbstständigkeit im Alltag zu schaffen. Es hilft Patienten, ihre Umwelt wieder besser zu „begreifen“ – im wahrsten Sinne des Wortes – und dadurch handlungsfähiger zu werden. Das Affolter-Modell ergänzt somit das Spektrum der Therapiekonzepte in der Ergotherapie um einen spezifischen wahrnehmungsfördernden Ansatz.

Quellen:

Die Sensorische Integrationstherapie (SI-Therapie): Verarbeitung von Sinnesreizen in der Ergotherapie

Die Sensorische Integrationstherapie (kurz: SI-Therapie) ist ein weiteres zentrales Therapiekonzept in der Ergotherapie, das insbesondere in der Arbeit mit Kindern, aber auch zunehmend bei Erwachsenen Anwendung findet. Entwickelt wurde sie in den 1960er und 1970er Jahren von der amerikanischen Ergotherapeutin und Psychologin Dr. Anna Jean Ayres. Die SI-Therapie basiert auf der Theorie der Sensorischen Integration, die beschreibt, wie das Gehirn Informationen von unseren Sinnen aufnimmt, verarbeitet (organisiert) und nutzt, um angemessen mit der Umwelt interagieren und zielgerichtet handeln zu können.

Sensorische Integration ist ein neurologischer Prozess, der bei den meisten Menschen unbewusst und automatisch abläuft. Er ermöglicht es uns, die Flut an Sinnesreizen (aus dem Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten sowie aus dem Gleichgewichtssinn/vestibulären System und der Tiefenwahrnehmung/propriozeptiven System) zu ordnen, zu interpretieren und sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Eine gut funktionierende sensorische Integration ist die Grundlage für motorische Koordination, Handlungsplanung, Aufmerksamkeit, Lernfähigkeit, emotionale Regulation und soziales Verhalten.

Wenn dieser Prozess gestört ist, spricht man von einer Sensorischen Integrationsstörung oder Dysfunktion. Betroffene Kinder (oder auch Erwachsene) haben Schwierigkeiten, Sinnesreize angemessen zu verarbeiten. Sie können über- oder unterempfindlich auf bestimmte Reize reagieren (z.B. Geräusche, Berührungen, Bewegungen), Schwierigkeiten mit der Bewegungsplanung (Dyspraxie), der Aufmerksamkeit, der Impulskontrolle oder der emotionalen Stabilität haben.

Kernprinzipien der SI-Therapie:

Die SI-Therapie nach Ayres zielt darauf ab, die Fähigkeit des Gehirns zur Verarbeitung und Integration von Sinnesinformationen zu verbessern. Dies geschieht durch ein gezieltes Angebot an sensorischen Erfahrungen in einem therapeutischen Kontext. Wichtige Prinzipien sind:

      • Gezieltes Angebot von sensorischen Reizen: Die Therapeutin gestaltet die Umgebung und die Aktivitäten so, dass das Kind genau die Art und Intensität von sensorischen Reizen (insbesondere taktil, vestibulär und propriozeptiv) erhält, die es für seine Entwicklung benötigt. Dies geschieht oft spielerisch und auf die Interessen des Kindes abgestimmt.
      • Förderung von adaptiven Reaktionen: Das Ziel ist nicht die passive Aufnahme von Reizen, sondern dass das Kind lernt, auf die sensorischen Herausforderungen mit einer angemessenen, zielgerichteten Handlung (adaptiven Reaktion) zu antworten. Gelingt dies, organisiert sich das Gehirn besser.
      • Nutzung des „Inneren Antriebs“ (Inner Drive): Die SI-Therapie ist stark kindzentriert bzw. patientenzentriert. Sie geht davon aus, dass jedes Kind einen inneren Antrieb hat, sich sensorisch so zu betätigen, wie es für seine Entwicklung förderlich ist. Die Therapeutin greift diesen Antrieb auf und bietet Aktivitäten an, die motivierend sind und dem Kind Spaß machen. Die Therapie soll als Spiel erlebt werden.
      • Therapie in speziell ausgestatteten Räumen: Die SI-Therapie findet häufig in Therapieräumen statt, die mit speziellem Material ausgestattet sind, das vielfältige sensorische Erfahrungen ermöglicht (z.B. Schaukeln, Hängematten, Rollbretter, Kletterwände, Tunnel, Bällebäder, Materialien mit unterschiedlichen Texturen).

Anwendung in der Ergotherapie:

Die SI-Therapie ist ein Kernbestandteil der ergotherapeutischen Arbeit, vor allem in der Pädiatrie. Sie wird eingesetzt bei Kindern mit:

Aber auch bei Erwachsenen, beispielsweise nach neurologischen Ereignissen wie Schlaganfall oder bei psychiatrischen Erkrankungen, kann eine gestörte sensorische Verarbeitung vorliegen und die SI-Therapie hilfreich sein, um sensorische Defizite zu behandeln und die Alltagsbewältigung zu verbessern.

Die übergeordneten Ziele der SI-Therapie in der Ergotherapie sind die Verbesserung von Motorik und Koordination, die Förderung der Handlungsplanung und -ausführung, die Steigerung der Aufmerksamkeit und Konzentration, die Unterstützung der emotionalen Regulation und Impulskontrolle sowie die Verbesserung der sozialen Teilhabe. Indem sie an den grundlegenden neurologischen Verarbeitungsprozessen ansetzt, schafft die SI-Therapie eine wichtige Basis für erfolgreiches Lernen, angemessenes Verhalten und die Bewältigung von Alltagsanforderungen. Sie ist somit ein fundamentales Therapiekonzept innerhalb der Ergotherapie.

Das Marburger Konzentrationstraining (MKT): Fokus auf Aufmerksamkeit in der Ergotherapie

Das Marburger Konzentrationstraining (MKT), entwickelt vom deutschen Schulpsychologen Dieter Krowatschek, ist ein etabliertes und weit verbreitetes Trainingsprogramm, das häufig im Rahmen der Ergotherapie eingesetzt wird. Es handelt sich um ein strukturiertes, kognitiv-behaviorales Therapiekonzept, das primär darauf abzielt, die Aufmerksamkeitssteuerung und die Selbstregulation bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter zu fördern. Es eignet sich besonders für Kinder, die Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren, leicht ablenkbar sind, impulsiv handeln oder Probleme mit der Organisation und Strukturierung von Aufgaben haben – Symptome, die häufig bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (AD(H)S) auftreten, aber auch unabhängig davon vorkommen können.

Im Gegensatz zu neurophysiologischen oder wahrnehmungsorientierten Ansätzen wie dem Bobath-Konzept, dem Affolter-Modell oder der SI-Therapie, die stärker an körperlichen oder basalen Verarbeitungsprozessen ansetzen, fokussiert das MKT direkt auf kognitive Strategien und Verhaltensweisen, die für aufmerksames und planvolles Arbeiten notwendig sind.

Kernprinzipien des Marburger Konzentrationstrainings:

Das MKT basiert auf mehreren methodischen Säulen, die systematisch im Training angewendet werden:

      • Methode der verbalen Selbstinstruktion: Dies ist ein zentrales Element des MKT. Die Kinder lernen eine feste Strategie, wie sie Aufgaben angehen sollen, und begleiten ihr Handeln durch lautes (später inneres) Sprechen. Ein typischer Ablauf ist: „Was ist meine Aufgabe? – Wie gehe ich vor? – Ich mache es! – Ich kontrolliere!“ Dieser strukturierte Dialog mit sich selbst hilft, das eigene Handeln zu planen, zu steuern und Impulsivität zu reduzieren.
      • Training grundlegender Fähigkeiten: Das Training beinhaltet Übungen zur Verbesserung der Feinmotorik (wichtig für Schreiben und Zeichnen), der visuellen und auditiven Wahrnehmung, des Gedächtnisses und des Aufgabenverständnisses. Diese Basiskompetenzen sind oft Voraussetzung für erfolgreiches konzentriertes Arbeiten.
      • Förderung eines reflexiven Arbeitsstils: Den Kindern wird beigebracht, nicht sofort und unüberlegt loszuarbeiten, sondern erst genau hinzuschauen, zu planen und dann erst zu handeln. Fehler werden als normaler Teil des Lernprozesses betrachtet und Strategien zum Umgang mit Fehlern eingeübt.
      • Stärkung des Selbstbewusstseins und der Motivation: Durch positive Verstärkung, das Erleben von Erfolgen und das Setzen erreichbarer Ziele wird das Selbstvertrauen der Kinder gestärkt. Sie lernen, sich selbst etwas zuzutrauen und entwickeln mehr Freude am Lernen und an Aufgaben.
      • Entspannung und Umgang mit Stress: Kurze Entspannungsübungen (z.B. Fantasiereisen, progressive Muskelentspannung für Kinder) sind fester Bestandteil des Trainings, um Anspannung abzubauen und die Konzentrationsfähigkeit zu verbessern.
      • Setting und Einbindung: Das MKT findet meist in Kleingruppen von 4-6 Kindern statt, was den Austausch und das soziale Lernen fördert. Eine begleitende Elternarbeit (Informationsabende, Elterngespräche) ist oft Teil des Konzepts, um den Transfer der gelernten Strategien in den Schul- und Familienalltag zu unterstützen.

Anwendung in der Ergotherapie:

Innerhalb der Ergotherapie wird das Marburger Konzentrationstraining als spezifisches Trainingsprogramm eingesetzt, um gezielt an den Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistungen von Kindern zu arbeiten. Es ist ein wichtiges Werkzeug im Methodenkoffer von Ergotherapeut:innen, die mit Kindern mit AD(H)S, Lernschwierigkeiten oder allgemeinen Konzentrationsproblemen arbeiten. Das MKT hilft den Kindern, Struktur zu finden, planvoller vorzugehen, ihre Impulse besser zu kontrollieren und somit den Anforderungen in Kindergarten, Schule und Alltag besser gerecht zu werden.

Einordnung:

Es ist wichtig zu verstehen, dass das MKT eher ein spezifisches Trainingsprogramm für einen definierten Bereich (Aufmerksamkeit, Selbststeuerung) darstellt, als ein umfassendes neurophysiologisches oder wahrnehmungsorientiertes Therapiekonzept wie Bobath, Affolter oder die SI-Therapie. Dennoch ist es aufgrund seiner hohen Praxisrelevanz und Effektivität bei spezifischen Problemlagen ein unverzichtbarer Bestandteil der Vielfalt an Therapiekonzepten in der Ergotherapie, insbesondere im pädiatrischen Bereich.

Therapiekonzepte im Vergleich: Den richtigen Ansatz in der Ergotherapie finden

Die Vorstellung der vier TherapiekonzepteBobath, Affolter, SI-Therapie und Marburger Konzentrationstraining – hat bereits deutlich gemacht, dass die Ergotherapie über ein breites Spektrum an spezialisierten Behandlungsansätzen verfügt. Jedes dieser Konzepte hat seine eigene theoretische Grundlage, seine spezifischen Methoden und seine primären Anwendungsgebiete. Ein kurzer vergleichender Überblick verdeutlicht die unterschiedlichen Schwerpunkte:

      • Bobath-Konzept:
        • Schwerpunkt: Neurophysiologisch; Behandlung von Bewegungsstörungen und Tonusregulation bei neurologischen Erkrankungen (z.B. Schlaganfall, Zerebralparese).
        • Ziel: Anbahnung und Kontrolle physiologischer Bewegungsmuster, Hemmung pathologischer Muster, Verbesserung der funktionellen Mobilität und Selbstständigkeit im Alltag.
        • Methoden: Handling, Fazilitation, Tonus beeinflussende Techniken, 24-Stunden-Management.
      • Affolter-Modell:
        • Schwerpunkt: Wahrnehmungsorientiert; Behandlung von Wahrnehmungsstörungen, insbesondere nach Hirnschädigung oder bei Entwicklungsstörungen.
        • Ziel: Verbesserung der Verarbeitung taktiler und kinästhetischer Informationen über die Interaktion mit der Umwelt, Förderung des Verständnisses von Ursache-Wirkung, Verbesserung der Alltagsbewältigung (z.B. bei Apraxie, Neglect).
        • Methoden: Geführte Interaktionstherapie in Alltagsaktivitäten.
      • Sensorische Integrationstherapie (SI-Therapie):
        • Schwerpunkt: Neurobiologisch; Behandlung von Störungen der sensorischen Verarbeitung und Integration (Sensorische Integrationsstörung).
        • Ziel: Verbesserung der neuronalen Organisation von Sinnesreizen (v.a. taktil, vestibulär, propriozeptiv) als Basis für Motorik, Lernen, Verhalten und emotionale Regulation (häufig in der Pädiatrie).
        • Methoden: Gezieltes, spielerisches Angebot sensorischer Reize zur Förderung adaptiver Reaktionen, Nutzung des inneren Antriebs des Kindes.
      • Marburger Konzentrationstraining (MKT):
        • Schwerpunkt: Kognitiv-behavioral; Training von Aufmerksamkeitssteuerung und Selbstregulation.
        • Ziel: Verbesserung von Konzentration, planvollem Handeln, Impulskontrolle und Arbeitsorganisation (v.a. bei Kindern mit Konzentrationsproblemen/ADHS).
        • Methoden: Verbale Selbstinstruktion, Training von Basisfertigkeiten, Entspannungstechniken, Arbeit in Kleingruppen.

Entscheidungsfaktoren für die Wahl des Konzepts:

Die Auswahl des geeigneten Therapiekonzepts oder einer sinnvollen Kombination verschiedener Ansätze ist ein zentraler Schritt im ergotherapeutischen Prozess. Diese Entscheidung wird nicht willkürlich getroffen, sondern basiert auf einer sorgfältigen Analyse verschiedener Faktoren:

      • Diagnose und Störungsbild: Die zugrundeliegende Erkrankung oder Störung gibt oft erste Hinweise auf geeignete Konzepte.
      • Alter des Patienten: Einige Konzepte (z.B. MKT, SI) werden häufiger im Kindesalter eingesetzt, andere (z.B. Bobath, Affolter) sind auch in der Erwachsenenrehabilitation zentral.
      • Individuelle Ziele: Was möchte der Patient erreichen? Die gemeinsam definierten Therapieziele sind maßgeblich für die Auswahl der Methoden.
      • Symptomatik: Welche spezifischen Probleme stehen im Vordergrund (z.B. motorische Defizite, Wahrnehmungsprobleme, Aufmerksamkeitsstörungen)?
      • Ressourcen des Patienten: Welche Fähigkeiten und Stärken bringt der Patient mit? Wo liegen seine Grenzen?
      • Spezialisierung des Therapeuten: Ergotherapeut:innen verfügen oft über spezielle Weiterbildungen und Expertise in bestimmten Therapiekonzepten.

Integrativer Ansatz in der Praxis:

Es ist wichtig zu betonen, dass Therapiekonzepte in der ergotherapeutischen Praxis selten in ihrer reinen Form angewendet werden. Vielmehr verfolgen erfahrene Therapeut:innen meist einen integrativen Ansatz. Das bedeutet, sie wählen je nach Patient, Situation und Therapieverlauf flexibel Elemente aus verschiedenen Konzepten aus und kombinieren diese zu einem individuellen Behandlungsplan. Beispielsweise kann bei einem Kind mit Zerebralparese sowohl nach Bobath (motorische Förderung) als auch nach SI (Wahrnehmungsförderung) gearbeitet werden. Oder bei einem Schlaganfallpatienten werden neben Bobath-Techniken auch Elemente aus dem Affolter-Modell (bei Neglect) oder kognitive Trainingsansätze integriert. Diese Flexibilität und die Fähigkeit, verschiedene Therapiekonzepte sinnvoll zu verknüpfen, zeichnen die hohe Anpassungsfähigkeit der Ergotherapie aus.

Fazit: Maßgeschneiderte Behandlung durch vielfältige Therapiekonzepte der Ergotherapie

Die Ergotherapie stellt einen essenziellen Baustein im Gesundheits- und Rehabilitationssystem dar. Ihre Stärke liegt nicht nur in ihrem ganzheitlichen Blick auf den Menschen und seiner Handlungsfähigkeit im Alltag, sondern auch in der breiten Palette an fundierten Therapiekonzepten Ergotherapie, die ihr zur Verfügung stehen. Wie dieser Artikel gezeigt hat, ermöglichen unterschiedliche Ansätze wie das neurophysiologische Bobath-Konzept, das wahrnehmungsorientierte Affolter-Modell, die neurobiologische SI-Therapie und das kognitiv-behaviorale Marburger Konzentrationstraining eine hochgradig differenzierte und spezifische Behandlung.

Diese Vielfalt ist kein Zufall, sondern die notwendige Antwort auf die Komplexität menschlicher Störungsbilder und die Einzigartigkeit jedes einzelnen Patienten. Die vorgestellten Therapiekonzepte sind dabei nur wichtige Beispiele für die methodische Breite der Ergotherapie. Sie alle teilen jedoch das übergeordnete Ziel: Menschen dabei zu unterstützen, ihre Selbstständigkeit in für sie bedeutungsvollen Lebensbereichen zu maximieren, ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern und letztlich ihre Lebensqualität zu verbessern.

Die Verfügbarkeit verschiedener Therapiekonzepte erlaubt es Ergotherapeut:innen, eine individuelle, zielgerichtete und damit effektive Behandlung zu gestalten – sei es durch die Anwendung eines spezifischen Konzepts oder durch die sinnvolle Integration verschiedener methodischer Elemente.

Sollten Sie oder Angehörige Bedarf an ergotherapeutischer Unterstützung haben oder spezifisches Interesse an einem der vorgestellten Therapiekonzepte (Bobath, Affolter, SI-Therapie, Marburger Konzentrationstraining) hegen, zögern Sie nicht, das Gespräch mit einer qualifizierten Ergotherapeutin oder einem Ergotherapeuten zu suchen https://www.ergo-netz.de/infothek/allgemeines/richtige-ergotherapiepraxis-finden. Sie können Ihnen detailliert erläutern, welches Vorgehen in Ihrem individuellen Fall am sinnvollsten erscheint und Sie auf dem Weg zu mehr Handlungsfähigkeit und Lebensqualität begleiten. Weiterführende Informationen zu den einzelnen Therapiekonzepten finden Sie auch bei Fachgesellschaften und spezialisierten Fortbildungsinstituten.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu Therapiekonzepten in der Ergotherapie

Was ist der Hauptunterschied zwischen dem Bobath-Konzept und dem Affolter-Modell?

Der Hauptunterschied liegt im Fokus: Das Bobath-Konzept konzentriert sich primär auf die Verbesserung von Bewegungskontrolle und Muskeltonus bei neurologischen Störungen durch neurophysiologische Ansätze (Handling, Fazilitation). Das Affolter-Modell hingegen fokussiert auf die Verbesserung der Wahrnehmung (insbesondere Spüren) und der Interaktion mit der Umwelt bei Wahrnehmungsstörungen, oft nach Hirnschädigung, durch gezieltes Führen in Alltagsaktivitäten.

Für wen eignet sich die Sensorische Integrationstherapie (SI-Therapie) besonders?

Die SI-Therapie eignet sich besonders für Kinder mit Störungen in der Verarbeitung und Integration von Sinnesreizen. Dies kann sich in Schwierigkeiten bei Motorik, Koordination, Aufmerksamkeit, Lernen, Verhalten oder emotionaler Regulation äußern. Typische Diagnosen sind Entwicklungsverzögerungen, ADHS, Autismus-Spektrum-Störungen oder Koordinationsstörungen (Dyspraxie).

Ist das Marburger Konzentrationstraining (MKT) nur für Kinder mit ADHS gedacht?

Nein, obwohl das MKT sehr hilfreich für Kinder mit ADHS ist, eignet es sich generell für Vorschul- und Grundschulkinder, die Schwierigkeiten mit Konzentration, Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und planvollem Arbeiten haben, unabhängig von einer spezifischen Diagnose. Es trainiert grundlegende Arbeitsstrategien und Selbststeuerung.

Werden diese Therapiekonzepte immer einzeln angewendet oder auch kombiniert?

In der Praxis werden Therapiekonzepte selten starr getrennt angewendet. Ergotherapeut:innen nutzen oft einen integrativen Ansatz und kombinieren je nach den individuellen Bedürfnissen und Zielen des Patienten Elemente aus verschiedenen Konzepten. Beispielsweise können bei einem Kind mit neurologischen und sensorischen Auffälligkeiten sowohl Bobath- als auch SI-Prinzipien zum Einsatz kommen.

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