Donnerstag, 24.April 2025
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Haftung in der Ergotherapie: Risiken verstehen, Recht kennen, Schadensersatz vermeiden

Haftung in der Ergotherapie: Risiken verstehen, Recht kennen, Schadensersatz vermeiden

Geschätzte Lesezeit: ca. 13 Minuten

Key Takeaways

  • Grundlagen: Haftung in der Ergotherapie basiert auf vertraglicher (Behandlungsvertrag) und deliktischer (allgemeine Sorgfaltspflicht) Verantwortung. Arbeitgeber haften i.d.R. für Angestellte, Freiberufler direkt.
  • Risiken: Typische Gefahrenquellen sind Behandlungsfehler, unzureichende Patientenaufklärung, Dokumentationsmängel, Verstöße gegen die Schweigepflicht, Organisationsverschulden und Verletzung der Aufsichtspflicht.
  • Konsequenzen: Mögliche Folgen umfassen zivilrechtliche Schadensersatzforderungen (materielle Schäden, Schmerzensgeld), berufsrechtliche Maßnahmen (bis zum Entzug der Erlaubnis) und strafrechtliche Verfolgung (z.B. fahrlässige Körperverletzung).
  • Prävention: Aktive Risikominimierung durch sorgfältige Anamnese/Planung, umfassende Aufklärung, lückenlose Dokumentation, Einhaltung von Standards, kontinuierliche Fortbildung, klare Kommunikation, Gewährleistung der Sicherheit und eine Berufshaftpflichtversicherung ist essenziell.
  • Versicherung: Eine Berufshaftpflichtversicherung ist unverzichtbar zum Schutz vor finanziellen Folgen berechtigter Schadensersatzansprüche und zur Abwehr unberechtigter Forderungen.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Haftung ist ein unvermeidbarer Aspekt im Berufsalltag der Ergotherapie. Sie betrifft jeden Therapeuten und jede Therapeutin, unabhängig davon, ob sie angestellt oder selbstständig tätig sind. Dieses Thema ist von zentraler Bedeutung, denn es geht nicht nur um den Schutz der Patientengesundheit, sondern auch um die Absicherung der eigenen beruflichen Existenz vor potenziellen rechtlichen und finanziellen Konsequenzen, insbesondere in Form von Schadensersatz-Forderungen. Die Auseinandersetzung mit der Haftung ist daher essenziell für eine verantwortungsbewusste und professionelle Berufsausübung. Dieser Beitrag klärt umfassend über die Grundlagen der Haftung auf, beleuchtet typische Risiken, die spezifisch im ergotherapeutischen Kontext auftreten können, erklärt die möglichen rechtlichen Konsequenzen nach geltendem Recht und zeigt vor allem konkrete und praxisnahe Präventionsmaßnahmen auf. Ziel ist es, Ergotherapeut:innen, aber auch Patient:innen und anderen Akteuren im Gesundheitswesen, ein fundiertes Verständnis für Haftungsrisiken zu vermitteln und aufzuzeigen, wie diesen effektiv vorgebeugt werden kann, um eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten.

Grundlagen der Haftung in der Ergotherapie: Rechtliche Rahmenbedingungen verstehen

Die Haftung in der Ergotherapie ist ein komplexes Feld, das auf verschiedenen rechtlichen Säulen basiert. Ein grundlegendes Verständnis dieser Rahmenbedingungen ist unerlässlich, um Risiken korrekt einschätzen und minimieren zu können. Das Recht definiert klar, wann und unter welchen Umständen Therapeut:innen für entstandene Schäden zur Verantwortung gezogen werden können.

Definition Haftung: Im Kern bedeutet Haftung die rechtliche Verpflichtung, für einen Schaden einzustehen, der einer Patientin oder einem Patienten im Rahmen der ergotherapeutischen Behandlung entstanden ist. Dieser Schaden kann materieller (z. B. zusätzliche Behandlungskosten, Verdienstausfall) oder immaterieller Natur (Schmerzensgeld) sein. Die Verpflichtung zum Ersatz dieses Schadens ergibt sich aus verschiedenen Rechtsgrundlagen.

Zwei Hauptformen der Haftung sind im Gesundheitswesen relevant:

  1. Vertragliche Haftung: Diese Form der Haftung entsteht aus dem Behandlungsvertrag, der – oft auch stillschweigend – zwischen der Therapeutin/dem Therapeuten bzw. der Praxis/Einrichtung und der Patientin/dem Patienten geschlossen wird. Aus diesem Vertrag ergibt sich die primäre Pflicht zur sorgfältigen und fachgerechten Behandlung nach den anerkannten Regeln der ergotherapeutischen Kunst. Wird diese Pflicht schuldhaft verletzt (vorsätzlich oder fahrlässig) und entsteht daraus ein Schaden, kann der Patient Schadensersatz fordern. Die vertragliche Haftung bezieht sich typischerweise auf Leistungsstörungen im Rahmen der vereinbarten Therapie.
  2. Deliktische Haftung: Diese Haftungsform ist nicht an einen Vertrag gebunden, sondern ergibt sich aus der Verletzung allgemeiner Sorgfaltspflichten, die jedermann treffen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist dies insbesondere in § 823 BGB geregelt (Schadensersatzpflicht bei Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder einem sonstigen Recht). In der Ergotherapie bedeutet dies, dass Therapeut:innen auch dann haften können, wenn sie durch eine fahrlässige Handlung (z. B. Unachtsamkeit bei der Anwendung eines Therapiegeräts, mangelnde Sicherung während einer Übung) einen Gesundheitsschaden beim Patienten verursachen, selbst wenn kein expliziter Behandlungsfehler im engeren Sinne vorliegt. Die deliktische Haftung schützt also grundlegende Rechtsgüter.

Wer haftet im konkreten Fall? Die Frage, wer letztendlich für einen Schaden einstehen muss, hängt von der Beschäftigungsform und den Umständen des Einzelfalls ab:

  • Angestellte Ergotherapeut:innen: Führt eine angestellte Therapeutin oder ein angestellter Therapeut im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit einen Schaden herbei, haftet grundsätzlich zunächst der Arbeitgeber (Praxisinhaber, Träger der Einrichtung) gegenüber dem geschädigten Patienten. Dies ergibt sich aus der sogenannten Arbeitgeberhaftung (§ 831 BGB oder über den Behandlungsvertrag). Der Arbeitgeber muss für das Verschulden seiner Angestellten („Erfüllungsgehilfen“, § 278 BGB) einstehen. Allerdings ist dies keine vollständige Entlastung für den Angestellten: Bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz kann der Arbeitgeber nach erfolgter Leistung an den Patienten seinerseits Rückgriff (Regress) auf den angestellten Therapeuten nehmen und den gezahlten Schadensersatz (teilweise oder ganz) zurückfordern. Bei leichter Fahrlässigkeit trägt in der Regel der Arbeitgeber das Risiko allein.
  • Praxisinhaber:innen / Freiberufler:innen: Selbstständige Ergotherapeut:innen, sei es als Inhaber:in einer eigenen Praxis oder als Freiberufler:in, haften direkt und persönlich für eigene Behandlungsfehler. Sie sind der unmittelbare Vertragspartner des Patienten und tragen die volle Verantwortung für die Einhaltung der therapeutischen Standards. Darüber hinaus haften sie auch für sogenanntes Organisationsverschulden. Dies umfasst Mängel in der Struktur und den Abläufen der Praxis, wie z. B. eine unzureichende Praxisausstattung (defekte Geräte, mangelnde Hygiene), eine ungenügende Auswahl, Anleitung oder Überwachung des Personals oder eine fehlerhafte Organisation der Therapieprozesse.

Das Verständnis dieser Grundlagen ist der erste Schritt zur Minimierung von Haftungsrisiken in der täglichen Praxis der Ergotherapie.

Typische Haftungsrisiken in der Ergotherapie: Gefahrenquellen im Berufsalltag erkennen

Der ergotherapeutische Alltag birgt spezifische Situationen und Konstellationen, die potenzielle Haftungsrisiken darstellen. Ein Bewusstsein für diese typischen Gefahrenquellen ist essenziell, um proaktiv gegensteuern zu können. Die Ergotherapie arbeitet oft mit vulnerablen Patientengruppen und setzt vielfältige Methoden ein, was besondere Sorgfalt erfordert.

1. Behandlungsfehler: Dies ist wohl das klassischste Haftungsrisiko. Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn die therapeutische Maßnahme nicht dem anerkannten fachlichen Standard entspricht, der zum Zeitpunkt der Behandlung galt. Konkret kann dies bedeuten:

  • Fehlerhafte Diagnose oder Therapieplanung: Eine unzureichende Anamnese oder fehlerhafte Interpretation der Befunde kann zu einer unpassenden oder gar schädlichen Therapieplanung führen.
  • Unsachgemäße Anwendung von Therapiemethoden, Geräten oder Hilfsmitteln: Der fehlerhafte Einsatz von Techniken (z.B. Mobilisationen), Therapiegeräten (z.B. Wärme-/Kälteanwendungen, Trainingsgeräte) oder die falsche Anpassung von Hilfsmitteln (z.B. Schienen) kann zu Verletzungen oder einer Verschlechterung des Zustands führen. Ein Beispiel wäre der Sturz eines Kindes von einem Therapiegerät aufgrund unsachgemäßer Sicherung oder Anwendung.
  • Nichtbeachtung von Kontraindikationen: Werden bestimmte gesundheitliche Einschränkungen oder Zustände des Patienten (z.B. Herzerkrankungen, Osteoporose, Allergien, akute Entzündungen) bei der Therapieplanung und -durchführung nicht berücksichtigt, obwohl sie bekannt waren oder hätten erkannt werden müssen, kann dies zu schwerwiegenden Komplikationen führen und eine Haftung begründen.

2. Aufklärungsversäumnisse: Jeder Eingriff in die körperliche Integrität oder Gesundheit bedarf der wirksamen Einwilligung des Patienten. Diese ist nur dann wirksam, wenn der Patient zuvor ausreichend über die geplante Maßnahme aufgeklärt wurde („Informed Consent“). Eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 630e BGB) liegt vor, wenn:

  • Die Aufklärung unzureichend ist (z.B. über Risiken, Erfolgsaussichten, Behandlungsalternativen, Ablauf der Therapie).
  • Die Aufklärung nicht rechtzeitig erfolgt (in der Regel vor Beginn der Behandlung).
  • Die Aufklärung für den Patienten unverständlich ist (z.B. durch zu viel Fachjargon).

Selbst wenn die Behandlung an sich fehlerfrei durchgeführt wurde, kann eine unzureichende Aufklärung zur Haftung führen, da das Selbstbestimmungsrecht des Patienten verletzt wurde. Der Patient hätte sich bei korrekter Aufklärung möglicherweise gegen die Behandlung entschieden.

3. Dokumentationsmängel: Die Pflicht zur Dokumentation ist nicht nur eine organisatorische Notwendigkeit, sondern auch eine rechtliche Vorgabe (§ 630f BGB). Eine mangelhafte Dokumentation kann im Streitfall gravierende Nachteile haben:

  • Fehlende, unvollständige oder nicht nachvollziehbare Dokumentation: Wenn Anamnese, Befundung, Therapieziele, durchgeführte Maßnahmen, Reaktionen des Patienten und der Therapieverlauf nicht lückenlos, zeitnah und verständlich dokumentiert sind, erschwert dies den Nachweis einer ordnungsgemäßen Behandlung („Beweislastumkehr“). Gerichte gehen bei Dokumentationslücken oft davon aus, dass nicht dokumentierte Maßnahmen auch nicht stattgefunden haben oder nicht korrekt durchgeführt wurden. Eine sorgfältige Dokumentation ist somit ein wichtiges Instrument zur Haftungsprävention.

4. Verletzung der Schweigepflicht: Ergotherapeut:innen unterliegen der gesetzlichen Schweigepflicht (§ 203 Strafgesetzbuch – StGB) und den strengen Regeln des Datenschutzes (DSGVO, BDSG).

  • Weitergabe von Patientendaten an Unbefugte: Die unbefugte Offenlegung von Informationen über den Patienten, sei es mündlich, schriftlich oder elektronisch, gegenüber Dritten (z.B. Angehörige ohne Einwilligung, andere nicht direkt beteiligte Kollegen, Arbeitgeber des Patienten) stellt einen schwerwiegenden Verstoß dar, der nicht nur zivilrechtliche Haftungsansprüche, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.

5. Organisationsverschulden: Praxisinhaber:innen und Leitungen von Einrichtungen haften nicht nur für eigene Fehler, sondern auch für Mängel in der Organisation, die zu Schäden führen können. Beispiele hierfür sind:

  • Unzureichende Hygiene: Mangelnde Desinfektion von Materialien oder Oberflächen, die zu Infektionen führt.
  • Defekte oder nicht gewartete Geräte: Einsatz von Geräten, die nicht sicher oder funktionsuntüchtig sind.
  • Mangelnde Sicherheit der Räumlichkeiten: Stolperfallen, unzureichende Beleuchtung, fehlende Sicherung von Gefahrenbereichen.
  • Fehlerhafte Terminplanung: Systematische Überlastung des Personals, die zu Fehlern durch Zeitdruck oder Erschöpfung führt.
  • Ungenügende Einarbeitung oder Überwachung von Personal: Einsatz von nicht ausreichend qualifiziertem oder instruiertem Personal.

6. Aufsichtspflichtverletzung: Ein besonders relevantes Risiko in der Ergotherapie ist die Verletzung der Aufsichtspflicht, insbesondere bei der Behandlung von:

  • Kindern: Kinder können Gefahren oft nicht richtig einschätzen. Therapeut:innen müssen während der Therapie eine angemessene Beaufsichtigung gewährleisten, um Unfälle (z.B. Stürze, Verletzungen an Geräten) oder Schädigungen Dritter durch das Kind zu verhindern.
  • Nicht voll geschäftsfähigen oder kognitiv eingeschränkten Erwachsenen: Auch bei Patient:innen mit Demenz, geistiger Behinderung oder schweren psychischen Erkrankungen besteht eine erhöhte Aufsichtspflicht, um Selbst- oder Fremdgefährdung während der Therapieeinheiten zu vermeiden. Eine unterlassene oder unzureichende Beaufsichtigung kann zur Haftung führen, wenn daraus ein Schaden resultiert.

Das Erkennen dieser spezifischen Risiken ist der erste Schritt, um gezielte Präventionsstrategien in der Ergotherapie zu implementieren und das Haftungsrisiko zu minimieren.

Rechtliche Konsequenzen bei Haftungsfällen in der Ergotherapie: Was droht im Ernstfall?

Tritt ein Haftungsfall ein, also wird festgestellt, dass eine Therapeutin oder ein Therapeut bzw. die Praxis/Einrichtung für einen entstandenen Schaden verantwortlich ist, können die rechtlichen Konsequenzen vielfältig und gravierend sein. Diese reichen von finanziellen Forderungen bis hin zu berufs- und strafrechtlichen Maßnahmen. Das geltende Recht sieht verschiedene Sanktionsmechanismen vor.

1. Schadensersatz-Ansprüche: Dies ist die häufigste zivilrechtliche Folge eines Haftungsfalls. Der geschädigte Patient hat Anspruch auf Ausgleich des ihm entstandenen Schadens. Man unterscheidet hierbei:

  • Materielle Schäden: Diese umfassen alle bezifferbaren finanziellen Nachteile, die dem Patienten durch den Fehler entstanden sind. Dazu gehören typischerweise:
    • Kosten für notwendige weitere medizinische oder therapeutische Behandlungen (Heilbehandlungskosten).
    • Verdienstausfall, wenn der Patient aufgrund des Schadens nicht oder nur eingeschränkt arbeiten kann.
    • Kosten für vermehrte Bedürfnisse, z. B. für Pflege, Hilfsmittel, Umbauten.
    • Haushaltsführungsschaden, wenn der Patient seinen Haushalt nicht mehr selbst führen kann.
    • Fahrtkosten zu Ärzten oder Therapeuten.
  • Immaterielle Schäden (Schmerzensgeld): Neben den materiellen Schäden hat der Patient Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für erlittene Schmerzen, Leiden, psychische Beeinträchtigungen und den Verlust an Lebensqualität. Die Höhe des Schmerzensgeldes wird im Einzelfall unter Berücksichtigung der Schwere der Verletzung, der Dauer der Beeinträchtigung, möglicher Dauerfolgen und des Verschuldensgrades des Therapeuten festgelegt. Schadensersatz in Form von Schmerzensgeld kann beträchtliche Summen erreichen.

2. Berufsrechtliche Folgen: Unabhängig von zivilrechtlichen Schadensersatz-Forderungen können Haftungsfälle auch berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Das Berufs-Recht der Gesundheitsberufe dient dem Schutz der Patientensicherheit und der Qualität der Versorgung. Bei festgestellten Pflichtverletzungen können die zuständigen Aufsichtsbehörden oder (falls vorhanden) Berufskammern tätig werden. Mögliche Maßnahmen sind:

  • Rüge oder Verweis.
  • Auferlegung von Fortbildungsverpflichtungen.
  • Anordnung von Auflagen für die weitere Berufsausübung.
  • Verhängung von Geldbußen.
  • Im schwerwiegendsten Fall, insbesondere bei groben Verstößen oder wiederholtem Fehlverhalten, das eine Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs begründet, kann der Entzug der Berufserlaubnis (Approbation bzw. Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung) drohen.

3. Strafrechtliche Relevanz: In besonders schweren Fällen, insbesondere wenn der Schaden durch grobe Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz verursacht wurde und zu einer erheblichen Gesundheitsverletzung oder zum Tod des Patienten geführt hat, kann der Haftungsfall auch strafrechtliche Relevanz erlangen. Mögliche Straftatbestände sind:

  • Fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB): Wenn durch eine Sorgfaltspflichtverletzung ein Patient körperlich geschädigt wird.
  • Fahrlässige Tötung (§ 222 StGB): Wenn der Fehler zum Tod des Patienten führt.
  • Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB): Bei Verstößen gegen die Schweigepflicht.

Die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft kann zu einer Anklage und im Falle einer Verurteilung zu Geldstrafen oder Freiheitsstrafen führen. Eine strafrechtliche Verurteilung hat oft auch gravierende berufsrechtliche Folgen.

4. Reputationsschaden: Nicht zu unterschätzen ist der immaterielle Schaden, der durch einen bekannt gewordenen Haftungsfall entsteht. Das Vertrauen von Patient:innen, ärztlichen Zuweiser:innen und Kooperationspartner:innen kann nachhaltig erschüttert werden. Ein solcher Imageverlust kann für die betroffene Therapeutin, den betroffenen Therapeuten und die gesamte Praxis existenzbedrohend sein, auch wenn die direkten finanziellen Schäden durch eine Versicherung abgedeckt sind. Negative Presse oder Online-Bewertungen können die Patientengewinnung erheblich erschweren.

Die Kenntnis dieser potenziellen Konsequenzen unterstreicht die Notwendigkeit, Haftungsrisiken ernst zu nehmen und durch präventive Maßnahmen aktiv zu minimieren, um sich selbst und die Patient:innen vor den Folgen von Fehlern zu schützen und Schadensersatz-Forderungen sowie weitere rechtliche Nachteile zu vermeiden.

Prävention: Haftungsrisiken in der Ergotherapie minimieren und Schadensersatz vermeiden

Der beste Schutz vor den schwerwiegenden Konsequenzen eines Haftungsfalls ist eine proaktive und konsequente Präventionsstrategie. Durch die Implementierung sorgfältiger Prozesse und die Einhaltung rechtlicher Vorgaben können Ergotherapeut:innen das Risiko von Fehlern und daraus resultierenden Schadensersatz-Ansprüchen signifikant reduzieren. Die Einhaltung des geltenden Rechts und fachlicher Standards ist dabei oberstes Gebot.

Folgende Maßnahmen sind zur Prävention von Haftungsrisiken in der Ergotherapie essenziell:

  1. Sorgfältige Anamnese und Behandlungsplanung:
    • Eine gründliche Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese), einschließlich relevanter Vorerkrankungen, Medikationen, Allergien und sozialer Faktoren, ist die Basis jeder sicheren Therapie.
    • Die Befundung muss umfassend und differenziert erfolgen.
    • Darauf aufbauend ist eine individuell angepasste, realistische und nachvollziehbare Therapieplanung zu erstellen, die sich an den Bedürfnissen des Patienten und den evidenzbasierten Leitlinien orientiert. Ziele sollten gemeinsam mit dem Patienten (SMART) formuliert werden.
  2. Umfassende und verständliche Patientenaufklärung (Informed Consent):
    • Gemäß § 630c und § 630e BGB müssen Patient:innen vor Beginn der Behandlung umfassend aufgeklärt werden. Dies umfasst:
      • Art und Umfang der geplanten Maßnahme(n).
      • Durchführung und Ablauf der Therapie.
      • Zu erwartende Folgen und Nutzen.
      • Mögliche Risiken und Komplikationen (auch seltene, aber typische).
      • Notwendigkeit der Maßnahme und Dringlichkeit.
      • Behandlungsalternativen.
    • Die Aufklärung muss mündlich erfolgen und für den Laien verständlich sein (kein Fachchinesisch). Sie sollte ausreichend Zeit für Fragen lassen und im Idealfall auch schriftlich dokumentiert und vom Patienten unterzeichnet werden.
  3. Lückenlose und zeitnahe Dokumentation:
    • Die Patientendokumentation ist ein zentrales Element der Qualitätssicherung und des Haftungsschutzes (§ 630f BGB). Sie muss alle wesentlichen Schritte umfassen: Anamnese, Befunde, Diagnosen, Therapieziele, Aufklärung, Einwilligung, geplante und durchgeführte Maßnahmen (mit Datum und Uhrzeit/Dauer), verwendete Materialien/Geräte, Reaktionen des Patienten, Verlaufsbeobachtungen, besondere Vorkommnisse und den Abschluss der Therapie.
    • Die Dokumentation muss sorgfältig, vollständig, lesbar, nachvollziehbar und zeitnah erfolgen (idealerweise direkt nach der Therapieeinheit). Nachträgliche Änderungen müssen klar als solche gekennzeichnet sein. Eine gute Dokumentation dient im Streitfall als wichtigster Beweis für eine lege artis durchgeführte Behandlung und kann vor ungerechtfertigten Schadensersatz-Forderungen schützen.
  4. Einhaltung von Therapiestandards und Leitlinien:
    • Die ergotherapeutische Behandlung muss stets nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den anerkannten fachlichen Standards erfolgen.
    • Die Orientierung an relevanten Leitlinien von Fachgesellschaften (z. B. des Deutschen Verbandes Ergotherapie e.V. – DVE) hilft, Behandlungsfehler zu vermeiden und die Qualität der Versorgung sicherzustellen.
  5. Regelmäßige Fort- und Weiterbildungen:
    • Das Fachwissen in der Medizin und Therapie entwickelt sich stetig weiter. Kontinuierliches Lernen durch Fort- und Weiterbildungen ist unerlässlich, um fachlich auf dem neuesten Stand zu bleiben, neue Techniken sicher anzuwenden und die Behandlungsqualität zu verbessern.
    • Fortbildungen sollten auch aktuelle rechtliche Rahmenbedingungen (Recht) und Aspekte der Patientensicherheit umfassen.
  6. Klare Kommunikation:
    • Eine offene, ehrliche und empathische Kommunikation mit den Patient:innen ist grundlegend. Missverständnisse sollten frühzeitig angesprochen und geklärt werden.
    • Auch bei unerwarteten Verläufen oder eingetretenen Komplikationen ist eine transparente Kommunikation (ggf. unter Einbeziehung der Praxisleitung und/oder Versicherung) oft deeskalierend und kann helfen, das Vertrauen zu erhalten oder wiederherzustellen.
    • Ebenso wichtig ist eine klare und effektive Kommunikation im Behandlungsteam (interne Übergaben, Fallbesprechungen).
  7. Sicherstellung der Geräte- und Materialsicherheit:
    • Alle in der Therapie eingesetzten Geräte und Materialien müssen sicher und funktionstüchtig sein.
    • Regelmäßige Wartungen, Prüfungen (z. B. nach dem Medizinproduktegesetz – MPG und der Medizinprodukte-Betreiberverordnung – MPBetreibV) und die Einhaltung von Hygienevorschriften sind zwingend erforderlich. Defekte Geräte dürfen nicht verwendet werden.
  8. Abschluss einer ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung:
    • Trotz aller Sorgfalt lassen sich Fehler nie zu 100 % ausschließen. Eine Berufshaftpflichtversicherung ist daher ein unverzichtbarer Schutzschild für jede praktizierende Ergotherapeutin und jeden Ergotherapeuten (sowohl für Freiberufler als auch oft sinnvoll für Angestellte, um das Regressrisiko abzudecken).
    • Sie deckt berechtigte Schadensersatz-Ansprüche Dritter (Patienten) bis zur vereinbarten Deckungssumme ab und wehrt unberechtigte Forderungen ab (passiver Rechtsschutz).
    • Die Deckungssumme sollte ausreichend hoch gewählt werden, um auch sehr hohe Schäden (insbesondere Personenschäden mit lebenslangen Folgen) abdecken zu können.

Durch die konsequente Umsetzung dieser Präventionsmaßnahmen können Ergotherapeut:innen ihre Haftungsrisiken aktiv steuern, die Patientensicherheit erhöhen und sich vor den finanziellen und rechtlichen Folgen von Schadensersatz-Forderungen schützen.

Fazit

Die Haftung ist und bleibt ein zentrales und ernstes Thema im Berufsfeld der Ergotherapie. Sie ist kein abstraktes juristisches Konstrukt, sondern hat direkte Auswirkungen auf die tägliche Arbeit, die Sicherheit der Patient:innen und die berufliche Existenz der Therapeut:innen. Ein fundiertes Bewusstsein für die potenziellen Risiken – von Behandlungsfehlern über Aufklärungsversäumnisse bis hin zu Dokumentationsmängeln – ist daher unerlässlich.

Die Kernbotschaft dieses Beitrags lautet: Proaktive Prävention ist der wirksamste Schutz vor Haftungsfällen und den daraus resultierenden, oft schwerwiegenden Konsequenzen wie Schadensersatz-Zahlungen, berufsrechtlichen Sanktionen oder gar strafrechtlichen Ermittlungen. Sorgfalt bei Anamnese, Planung und Durchführung der Therapie, eine umfassende und verständliche Patientenaufklärung, eine lückenlose Dokumentation, die Einhaltung fachlicher Standards, klare Kommunikation und kontinuierliche Weiterbildung bilden das Fundament einer sicheren und rechtlich abgesicherten Berufsausübung.

Es ist ein Appell an alle in der Ergotherapie Tätigen, sich aktiv mit den relevanten rechtlichen Grundlagen (Recht) auseinanderzusetzen und die dargestellten präventiven Maßnahmen konsequent im Berufsalltag zu implementieren. Dies dient nicht nur dem Selbstschutz, sondern stärkt auch das Vertrauen der Patient:innen und trägt maßgeblich zur Qualität und Sicherheit der ergotherapeutischen Versorgung bei.

Abschließend sei nochmals betont: Eine ausreichende Berufshaftpflichtversicherung ist ein absolutes Muss für jede praktizierende Ergotherapeutin und jeden Ergotherapeuten. Sie bietet finanziellen Schutz im Ernstfall. Bei konkreten Rechtsfragen oder Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Haftung sollte jedoch stets frühzeitig qualifizierter juristischer Rat eingeholt werden.

FAQ – Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet Haftung in der Ergotherapie?

Haftung bedeutet die rechtliche Verpflichtung, für Schäden (materielle oder immaterielle) einzustehen, die einem Patienten während der ergotherapeutischen Behandlung schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) zugefügt wurden. Sie kann aus dem Behandlungsvertrag (vertragliche Haftung) oder der Verletzung allgemeiner Sorgfaltspflichten (deliktische Haftung) resultieren.

Wer haftet bei angestellten Therapeuten?

Grundsätzlich haftet der Arbeitgeber (Praxis, Einrichtung) gegenüber dem Patienten für Fehler seiner angestellten Ergotherapeut:innen. Der Arbeitgeber kann jedoch bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Angestellten diesen in Regress nehmen, d.h. den gezahlten Schadensersatz zurückfordern.

Was sind die häufigsten Haftungsrisiken?

Zu den häufigsten Risiken zählen Behandlungsfehler (falsche Methode, Nichtbeachtung von Kontraindikationen), unzureichende Patientenaufklärung über Risiken und Alternativen, mangelhafte Dokumentation des Behandlungsverlaufs, Verletzung der Schweigepflicht, Organisationsverschulden (z.B. defekte Geräte, mangelnde Hygiene) und die Verletzung der Aufsichtspflicht (insbesondere bei Kindern oder eingeschränkten Erwachsenen).

Warum ist die Dokumentation so wichtig für die Haftungsprävention?

Eine lückenlose, zeitnahe und nachvollziehbare Dokumentation ist gesetzlich vorgeschrieben (§ 630f BGB). Sie dient im Streitfall als wichtigster Beweis dafür, dass die Behandlung fachgerecht und sorgfältig durchgeführt wurde. Fehlende oder mangelhafte Dokumentation kann zu einer Beweislastumkehr führen, d.h., der Therapeut muss dann beweisen, dass kein Fehler vorlag, was oft schwierig ist.

Ist eine Berufshaftpflichtversicherung für Ergotherapeut:innen notwendig?

Ja, absolut. Eine Berufshaftpflichtversicherung ist unverzichtbar. Sie schützt vor den finanziellen Folgen von Schadensersatzansprüchen, die aus Behandlungsfehlern oder anderen Pflichtverletzungen resultieren können. Sie deckt berechtigte Ansprüche und wehrt unberechtigte Forderungen ab. Sowohl Freiberufler als auch Angestellte sollten über einen ausreichenden Versicherungsschutz verfügen.

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